lyrik // VINCENZ KOKOT


Bild: Vincenz Kokot // Benyamin Reich // Copyright

My Sister Grenadine ist Einigen hier sicherlich ein Begriff. Erst diese Woche haben wir ein Remixalbum zum 2009 erschienenen Debüt der Band wiederveröffentlicht. Unter diesem Namen hat der Berliner Vincenz Kokot bislang drei Alben veröffentlicht und unzählige Konzerte in wechselnden Besetzungen gespielt. Er ist als Künstler der Edition Analogsoul Teil der Familie. Während im letzten Jahr eine Pause im Musikprojekt eingelegt wurde (die bis heute anhält), widmete sich Vincenz neuen Themen. Nun ist unter dem bürgerlichen Namen ein Lyrikband erschienen, er heißt „löschpapier“ und wir haben uns das Buch selbstverständlich sofort zukommen lassen, gelesen und Vincenz zum Interview gebeten.

„löschpapier“ ist im Secession Verlag erschienen und kann in jeder Buchhandlung bestellt werden, in Leipzig bekommt man den Band zB. HIER.

Ich komme aus einer Familie, in der Schreiben und Literatur beinahe als „normal“ gelten.

Man kennt dich als Musiker als My Sister Grenadine. Du hast drei Alben veröffentlicht, bist jahrelang getourt. Dann hast du dich zurückgezogen. Ersetzt Lyrik auch langfristig Musik oder füllt es eine Pause / Leerstelle? Was war die Motivation für die Gedichte?

Eigentlich schreibe ich schon seit meinen Jugendjahren Gedichte, aber abgesehen von einigen Veröffentlichungen in Anthologien habe ich bisher kaum etwas publiziert. Daher war dieser Teil meiner künstlerischen Arbeit nach außen hin wenig sichtbar, wenngleich nahestenden Menschen davon wussten und auch immer wieder Texte von mir gelesen haben.

Ich komme aus einer Familie, in der Schreiben und Literatur beinahe als „normal“ gelten, sowohl meine Eltern als auch mein Bruder haben Gedichtbände veröffentlicht. Offiziell war ich immer eher Musiker und habe diese Position auch gern bezogen, gleichzeitig war das Schreiben und die Auseinandersetzung mit Worten/Texten für mich immer präsent.

Vor anderthalb Jahren gab es eine ziemlich starke Zäsur in meinem Leben: Enge persönliche Beziehungen veränderten sich, mein Studium ging zu Ende, der Lohnjob lief aus. Ich habe dann erst einmal eine Pause eingelegt, auch weil ich die Jahre davor ziemlich viel auf einmal gemacht habe und immer auf Anschlag fuhr.

Schließlich habe ich mit neuen Sachen angefangen, zum Beispiel Tanz, und mir auch überlegt, was ich mit den literarischen Texten machen möchte. Über die Jahre hatte sich sehr viel angesammelt und bereits 2012 begann ich, eine Auswahl zu treffen, verschiedene Manuskripte zusammen zu stellen, Schwerpunkte und Konzepte zu erarbeiten und entsprechend weiter zu schreiben. Letzten Herbst hatte ich das Glück, Christian Ruzicska vom Secession Verlag kennen zu lernen. Ich schickte ihm einige Texte, die ihm gefielen und er mir daraufhin anbot, gemeinsam ein Buch zu machen.

Ich habe die Manuskripte dann im Winter noch einmal überarbeitet und zusammengebracht, neue Texte eingefügt und Kapitel verändert – bis schießlich „löschpapier“ fertig war. Ich freue mich sehr über die Möglichkeit, es nun bei Secession zu veröffentlichen.

Ein Gedicht lebt ebenso wie Musik von Intimität.

Was ist für dich der Unterschied zwischen einem Gedicht und einem Songtext? Stellt es unterschiedliche Anforderungen beim Schreiben?

Es gibt sicherlich eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten und ebenso viele Unterschiede, so dass Songtext und Gedicht wie enge Verwandte sind – ähnlich und doch verschieden. Bei Songtexten, die ich vor allem auf Englisch schreibe, spielen natürlich die Melodie, die den Text umgebende Musik, das Arrangement und nicht zuletzt die Stimme eine wichtige Rolle, während sich bei Lyrik die Sprache in einer sehr reduzierten, verdichteten, oft abstrakten Form finden lässt. Das stellt mich oft vor Herausforderungen, die künstlerisch aber auch sehr genossen werden können.

Gleichzeitig sehe ich auch viele Überschneidungen zwischen Songtexten und Lyrik, wie etwa bei den Sprechgedichten in „löschpapier“ deutlich gemacht wird, bei denen der Klang und die Phonetik eben auch elementar wichtig sind. Ein Gedicht lebt ebenso wie Musik unter anderem von Rhythmik, von Auslassung, von Inszenierung, von Wendungen, Wiederholungen, nicht zuletzt von Intimität.

In der Mitte des Bandes finden sich Haiku. Warum diese Form? Was verbindest du damit?

Haiku haben mich schon sehr lange fasziniert, da sie in extrem verknappter Form etwas auf den Punkt bringen, von Präzision und Präsenz leben, aber auch sehr sinnlich und augenblicklich sind, bestenfalls eine Erschütterung auslösen. Es gibt klare Regeln – sowohl was Verslänge und Silbenanzahl angeht als auch bezüglich der Themen. Gleichzeitig gibt es innerhalb dieser Struktur und Vorgaben eine unendliche Vielfalt an Variationen und Möglichkeiten, die bis heute ausgelotet werden.

Während meines Studiums befasste ich mich viel mit Roland Barthes, unter anderem mit seiner Foto-Theorie, die Vergleiche zum Haiku zieht. Meine Faszination wurde erneut geweckt und es gab die Idee, einige der Regeln zu brechen und etwa politische Haiku zu schreiben. So entstanden beispielsweise Texte zur Flüchtlingsproblematik oder zur Kontinuität kolonialer Politik – aber auch Haiku sehr persönlicher, zwischenmenschlicher Art.

Ich lerne viel Neues.

Beim Lesen bekomme ich den Eindruck, dass es kein übergeordnetes inhaltliches Thema gibt, sondern das vielmehr „Sprache“, „Wörter“, „Form“ das Thema / der rote Faden sind. Stimmt der Eindruck?

Für mich persönlich gibt es sicher einige rote Fäden – etwa die Themen Authentizität, Spiel, Heimat und privat/gesellschaftlich -, aber ich möchte den Lesenden diese Fäden nicht aufdrängen, nicht zu eindeutig in die Hände legen. Die Heterogenität der Texte wirft sicher die Frage nach dem Gemeinsamen auf und es stimmt, dass Sprache, Form und der Umgang mit Worten ebenfalls ein roter Faden sind. Ich bin neugierig auf weitere! Zudem ist das Buch in einer bestimmten Form unterteilt, man kann die drei Hauptabschnitte sowohl seperat lesen und nachvollziehen als auch insgesamt betrachten.

Was kommt als nächstes: Vincenz Kokot Lyrikband oder My Sister Grenadine Album?

Im Moment arbeite ich an vielen verschiedenen Sachen. Es entstehen weiterhin neue Gedichte und Texte als auch neue Songs mit Songtexten. Vor allem habe ich in den letzten Monaten aber live improvisierte elektro-akustische Musik gemacht, ähnlich zu dem, was ich sie vor ein paar Jahren mit dem Projekt jandl begonnen hatte – nun in wechselnden Konstellationen und mit verschiedenen Schwerpunkten: So gab es zum Beispiel ein Projekt mit Lea Danzeisen und Lennart Melzer, bei dem wir Klang zu meinen Texten in Beziehung gesetzt und an einem für Auftritte eher untypischen Ort – einer Autowerkstatt in Kreuzberg – aufgeführt haben.

Auch hab ich mich mehr und mehr mit Zeitgenössischem Tanz und Contact Improvisation beschäftigt und war diesen Sommer unter anderem als Live-Musiker und Tänzer bei einem Festival dabei. All diese Erfahrungen und unterschiedlichen Formen des Ausdrucks finde ich spannend und inspirierend, ich lerne viel Neues.

Gerade interessieren mich die Schnittstellen, von Bewegung und Musik oder von Text und Klang in performativen Zusammenhängen. Auch fürs Theater zu arbeiten, Filmmusik und Gedichtvertonungen zu machen, steht auf der Agenda. Es bleibt also spannend, auch wenn ich zur Zeit noch nicht sagen kann, wohin die Reisen gehen.



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