wort // STREAMS DAS NEUE RADIO?


Es ist ja immer schön, wenn etwas wächst. Besonders in der Wirtschaft. Und so richtig groß ist die Freude, wenn eine gebeutelte Branche Wachstum jeglicher Art verkünden kann. Bei der Musik ist es gerade so weit: Neue Zahlen belegen, dass Musikstreaming nun endlich auch im deutschsprachigen Raum am kommen ist. Endlich? Wir zerlegen das mal kurz aus unserer Sicht.

Trendzahlen

StreamingUmsaetze2014_BundesverbandMusikindustrie_GFK_CopyrightBei RecordJet lasen wir von der Erhebung des deutschen Branchenverbands Musikindustrie zum Streaming. Die Menschen dort sind ganz aus dem Häuschen: „Durch die Decke“ gingen die Streams. Es gab „ein Plus von 91 Prozent im Vergleich zu (…) den ersten sechs Monaten des Jahres 2013“. Insgesamt hat die deutsche Musikindustrie knapp 60 Millionen Euro Umsatz allein in den ersten sechs Monaten des Jahres mit Streams erzielt.

Verglichen damit, ist das, was ihr so von uns streamt, sogar noch viel deutlicher gewachsen – Echte Trendsetter also. Leider aber in einem deutlich geringeren Umsatzbereich *hüstel*. Und damit sind wir beim Thema. Denn die Streams sind wohl auf absehbare Zeit das Segment im Musikbereich, das am meisten wachsen wird – und damit vermutlich auch andere Erlösquellen für Musiker kannibalisieren wird.

Erlöse für Musiker

Ist die Tatsache, dass viele Musikhörer_innen nun streamen gut oder schlecht für uns als Musiker? Schauen wir auf den Erlös pro gespielten Song, sieht das schon ziemlich düster aus. Wir haben mal in unseren Zahlen stichprobenartig rumgewühlt: Derzeit gibt es etwa 15 Anbieter, die für Internetuser mit deutscher IP Musikstreams zur Verfügung stellen. Wir sind bei den meisten davon mit Releases gelistet.

Tatsächlich ist es relativ schwer, aussagekräftige Durchschnittswerte pro Song heraus zu finden, da beinahe jeder Play anders abgerechnet wird. Das hängt neben der Vergütungsstruktur der Anbieter vor allem auch mit dem Land zusammen, aus dem der User streamt. So beläuft sich der Unterschied zwischen einem Spotify-Stream aus der Schweiz und einem aus Polen auf das Achtfache. Auffällig ist, dass die beiden Dienste mit der größten Reichweite (Spotify) bzw. größten potentiellen Reichweite (Apple) die geringsten Beträge pro Stream auszahlen.

24-7 Entertainment

0,0087 €

Google Play

zwischen 0,0083 € und 0,0021 €

Rdio

0,0078 €

Simfy

0,0073 €

Deezer

0,0039 €

Spotify 

zwischen 0,0034 € und 0,0026 €

iTunes Radio

0,0020 €

In kurz: Je nach Anbieter bekommen wir zwischen 0,2 Cent und 0,9 Cent pro gestreamten Song. Also zwischen 400 und 89 Streams für eine Kugel Eis (80 Cent, bei uns. Im Osten.) Zum Vergleich: Wenn ein Song im Radio läuft, bekommt das Label ungefähr 1 € pro Minute über die GVL eingetrieben.

streams_eis_Andreas_Bischof_CC_NC-BY-SA

Ist das die Zukunft?

Für uns ist das ziemlich ambivalent. Wir freuen uns, dass es neue Kanäle gibt, über die man uns hören kann und offenbar machen davon auch User aus Ländern Gebrauch, in denen wir nicht so präsent sind. Wir bespielen diese Plattformen deswegen gern und betrachten sie als mehr oder minder kostenlose Werbung. Außerdem ist es ja auch im unabhängigen Musikbereich schön, wenn etwas wächst. Und am Ende des Jahres ist es dann mittlerweile doch eine Summe, die man definitiv vom Bürgersteig aufheben würde.

Gleichzeitig hängen da aber einige Probleme dran, zum Beispiel dass bislang kein Streaminganbieter ein funktionierendes Geschäftsmodell hat. Kein Streaminganbieter scheint mit seinem Service tatsächlich Geld verdient zu haben. Zumindest sagen das die Bilanzen. Spotify hat zwar laut eigenen Angaben seit 2008 über eine Milliarde USD an Musiker ausgeschüttet, aber selbst noch keinen Gewinn erzielt. Deswegen drängen nun auch große Konzerne wie Apple (offenbar der Grund des Kaufs von Beats) und Google (starten einen Youtube-Musikstreamingdienst im Herbst) in den Markt: Sie müssen nicht davon leben, haben dafür aber monopolisierte Vetriebswege, an die sie ihre Streamingservices hängen können  – Endgeräte bei Apple, Zugang zu Content bei Google.

Damit sind wir beim nächsten Problem: Transparenz. Man kann auf die GEMA kotzen wie man will, aber die müssen immerhin transparent machen, wer was bekommt. Deswegen sieht man ja, dass da vieles im Argen liegt. Spotify kann das piepegal sein. Wird wirklich jeder Play abgerechnet? Erhalten alle die gleiche Ausschüttung pro Song? Es scheint eher so zu sein, dass große Verlage und Labels dort mehr erhalten als unabhängige und kleinere Künstler.

Überhaupt ist es leider so, dass diese sehr innovativen Ideen und neuen Kanäle eher Indie-feindlich agieren. Die Plattformen versuchen ja über die massenhafte Aggregation von Minibeträgen Geld zu verdienen: Ganz, ganz viele Nutzer, die nur ganz, ganz wenig Zahlen um auf ganz, ganz viele Songs Zugriff zu haben, sollen in der Masse dann einen ganz, ganz großen Gewinn abwerfen. Streaminganbieter sind deswegen interessiert daran, möglichst viele Songs zu „Festpreisen“ aus einer Hand angeboten zu bekommen. Und das können sehr große Verlage und Majorlabels besonders gut. Sich dagegen mit dem selbstverwalteten wirtschaftlichen Katzentisch der Musikwelt zu beschäftigen (immerhin 30 % der Musikinhalte auf Youtube sind independent) kostet nur Zeit und Geld. Die sollen froh sein, dass ihre Mucke überhaupt hier läuft. So liest sich zumindest der Vertragsvorschlag von Youtube für deren neuen Musikstreamingdienst: Abtretung so gut wie aller Verwertungsrechte und sittenwidrige Vergütung – und wenn man das nicht akzeptieren will, werden die bereits hochgeladenene Inhalte halt gesperrt.

 

 Fazit

So wie Streams im Moment funktionieren, ist das für uns eine angenehme Werbung, der wir versuchen etwas nachzuhelfen. Sollten Streams einen noch größeren Teil der in irgendeiner Form konsumierten Musik ausmachen, bekommen wir bei der jetzigen Vergütung allerdings ein echtes Problem. Außerdem zeichnet sich ab, dass die Breite an Streamingplattformen mittelfristig auf wenige, sehr große Player zusammenschrumpft. Die wiederrum werden sich einen feuchten um Umsatzmargen wie unsere kehren. Deswegen werden wir weiter (digitale und analoge) Wege suchen und ausprobieren, die eher mit Direktvertrieb und Kontakt zu tun haben, als zu hoffen, dass Internetkonzerne am Ende irgendwie doch fairer sind als Lebensmittel- oder Rüstungskonzerne. Wir benutzen dann gern für Centbeträge deren große digitalen Plakatwände, sind aber darauf angewiesen, dass ihr weiterhin mit offenen Augen umherlauft.

Und jetzt entschuldigt uns bitte: Wir müssen noch 400 mal Play auf unserer Spotify-Playlist klicken, um uns ein Eis zu kaufen.



c 2007-2014 Analogsoul - Label, Basis, Meer