derzeit geht es – nicht nur – in leipzig hoch her. eine berliner firma hat bundesweit facebook-seiten zu open airs eingerichtet, um damit eine eigene, im erscheinen befindliche, app zur lokalisierung und „taggen“ solcher veranstaltungen zu bewerben. in den durchaus hitzigen diskussionen, sei es auf der facebook-seite , bei frohfroh oder auf zahlreichen anderen facebook-wänden, vermischen sich einige aspekte, die es lohnt, getrennt zu betrachten.
vorab: wir empfehlen nicht fan der seite und kunde der app zu werden. zuvorderst aufgrund eines unserer meinung nach unseriösen geschäftsgebahrens und zumindest fragwürdigem geschäftsmodell (siehe punkt 1). darüber hinaus hegen wir persönlich eine vorliebe für open airs, die nicht wie kommerzielle parties betrieben werden und dementsprechend aus mehreren gründen nicht öffentlich beworben werden sollten (siehe punkt 2). unabhängig von unseren vorlieben drängt die laufende diskussion und die zugrunde liegende beliebtheit der open airs als veranstaltungsform zu einer gemeinsamen diskussion über die möglichkeit und zukunft solcher parties, die nicht losgelöst betrachtet werden kann von anderen diskussionen, die uns begleiten: wie refinanziert sich musikkultur? wie wollen marktteilnehmer wie veranstalter miteinander umgehen? welche rolle spielt „bewusster konsum“ dabei (punkt 3)?
1) das geschäftsgebahren von intentions und der „open air finder“-app
wie gesagt die diskussion entzündet sich zuerst am kommerziellen zuschnitts des angebots: die „open air finder“-app soll partygängern ermöglichen, ihre umgebung mittels eines geodatenfähigen handys auf als open airs getaggte parties zu scannen. ähnlich wie bei foursquare oder qype yelp stellt der anbieter also eine software, die ihren eigentlichen wert aus dem user generated content, dem empfehlen von orten / dienstleistungen, zieht. das ist zunächst einmal insofern oppurtinistisch, als dass die meisten open airs in einem rechtlichen grau- bis dunkelgraubereich stattfinden, und damit nicht wie bei restaurants oder einzelhändlern davon ausgegangen werden kann, dass die veranstalter an dieser form der öffentlichkeit interessiert sind. vielmehr denken die entwickler einer solchen app eher vom phänomen (open airs werden mainstream) her und suchen – das unterstellen wir mal ganz generös – die schnelle mark. oder wie es kommentator „connewitz“ bei frohfroh auf den punkt bringt: „sowas passiert wenn bwl, facebook und gummimusik sich kreuzt.“
soviel zum geschäftsmodell, dass auch dann noch einmal etwas ekelhafter wird, wenn man sich die ökologisch-ethische grundhaltung (kein scheiß!) der firmengründer vor augen führt. in einem mittlerweile gelöschten, aber noch im google cache befindlichen [vom blogbetreiber nach technischem fehler wieder zugänglich gemacht] interview heißt es: „Uns schwebt eine Ausrichtung der Wirtschaft vor, welche wieder Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellt.“ es handelt sich vermutlich um zwei bestimmte menschen und die natur der geldvermehrung. der umgang mit rückfragen (und wir meinen hier zunächst die konstruktiven) ist ebenfalls entlarvend: fragen zu geschäftsmodell, motivation und funktionalität der apps werden entweder gelöscht, oder widersprüchlich beantwortet. mittlerweile hat man sich auf den standpunkt zurück gezogen, dass die app ganz harmlos sei, nur verifizierte dj-accounts parties posten lasse und überhaupt eher selbstermächtigungstool der feierneden masse als geldverdientool für zwei berliner ist.
fazit 1: jeder ist frei, anzubieten was er will. wenn er es aber unter dem claim „wir SCHENKEN euch“ tut und dabei eine leistung (draußenparties) monetarisiert, die er nicht selbst erwirtschaftet sondern potentiell noch gefährdet, ist das in unseren augen unseriös – und vor allem das gegenteil von sich als marketingsprech entpuppenden einlullungen wie oben zitiert.
2) was ist ein open air?
blöde frage, klar. aber mal ehrlich: liest man die kommentare und diskussionen hat man schnell den eindruck, dass hier häufig unterschiedliche dinge gemeint sind. die anbieter verweisen darauf, ausschließlich auf legale und/oder geduldete open airs verweisen zu wollen, von denen in berlin auch noch „so gut wie nie“ eines aufgelöst worden sei. ganz konkret wird (auch im bild) das „mauerpark open air“ angeführt, das ein seit jahren etabliertes event mit zehntausenden besuchern ist. besonders die leipziger gegensprecherinnen denken aber eher an illegale veranstaltungen, die unter dem risiko stehen, jederzeit aufgelöst zu werden. und auch für solche scheint eine solche app ja gedacht zu sein. wer eine 45.000-menschen-party im mauerpark nicht findet, kriegt auch keine app auf sein smartphone installiert. gemeint sind von den anbietern natürlich ganz klar kostenlose, unangemeldete und deswegen schlecht findbare draußenparties mit bumbum-musik. noch vor kurzem hieß es auf deren seite auch noch „endlich schluss mit dem versteckspiel“ und ironisch „polizeilich geprüft“ – da wurde wohl zwischendurch doch nochmal ein anwalt konsultiert. [da bin ich auf ne gute satire reingefallen!]
diese form von veranstaltungen sieht sich einer zunehmenden beliebtheit gegenüber, die ihr gesicht verändert hat. in berlin zum beispiel hat sich der tagesspiegel des themas treffend angenommen. draußenparties werden sowohl von organisatoren- als auch von besucherseite immer mehr. die motivationen changieren dabei von politischem statement (reclaim!) über hedonistische gründe (gute party erleben) bis hin zu kommerziellen beweggründen (keine miete, mehr erlös). gemeinsam ist diesen den motivationen entsprechend unterschiedlichen parties jedenfalls strukturell die weitgehende loslösung von üblichen livemusik-strukturen (veranstalterpflichten, gema, eintritt) und ein (auch daraus resultierender) reiz für besucher und veranstalter.
fazit 2: open airs sind eine art von party, die gezielt an bestehenden strukturen des musik-veranstaltens vorbei gehen (und deswegen nicht ganz so frei zugänglich wie ein discobesuch sind). wenn das für publikum, djs, natur und anwohner fair geschieht, sind das i.d.r. ganz zauberhafte veranstaltungen, die wir nicht missen möchten.
3) wem gehören open airs?
das allerschönste zitat von den app- und seitenanbietern haben wir noch gar nicht gebracht. es soll unterstreichen, inwiefern diese fachkundig und gewissermaßen legitimiert sind, einen solchen service anzubieten und findet sich ebenfalls im diskussionsthread auf facebook: „Wie wir das sagen können? Weil wir die Szene sind […]“ in dieser schönen stilblüte steckt ein problem, dass den großteil der diskussionen bestimmt: wem gehören open airs?
nicht wenige partygänger kritisieren die app dafür, nun anderen besuchergruppen zugang zu den parties zu gewähren. in den worten dieser gruppe von kritikern: „kevin und cindy aus gohlis“. [ist gohlis nicht ein gutbürgerliches viertel? meint der dresden-prohlis?] neben proleten gehören hipster zu den nicht-erwünschten gästen: in beiden fällen wird unterstellt, die musik/das lebensgefühl von draußenparties nicht wirklich schätzen zu können, sondern nur zeichenhaft zu konsumieren. und weil es auch unter engagierten subkultur-vertretern nicht üblich ist, anderen den zutritt aktiv zu verwehren, ist die app neben der gefahr, der ordnungsmacht hinweise zu liefern, deswegen eine tatsächliche bedrohung: bislang übernahm die netzwerkförmige verbreitung über direktnachrichten, sms, geschlossene facebook-gruppen oder versteckte hinweise in video-trailern die stilistische selektion des türstehers.
wenn draußenparties nun ein massenphänomen werden (und da ist die app ja eher ausdruck als ursache!), welche probleme bringt das mit sich? klar: zuerst mal müssen sich alle gäste, die auf exklusivität bei geringen kosten stehen was neues suchen. auch für draußenparty-veranstalter wird das nicht ungefährlich: deutlich größerer zulauf als erwartet führt i.d.r. zu diebstählen und auseinandersetzungen unter gästen – ohne wände, schrauben und securitypersonal schwer zu handeln. die neu hinzukommenden gäste bringen außerdem neue ansprüche mit: nämlich die nach convenience-erfahrungen. eine junge frau schreibt bei facebook unter die diskussion „dabei wollte ich doch nur ’n bißchen musik unter freiem himmel… Make Music – Not War“. anstatt auf die idee zu kommen, ihre eigene anlage mit freunden rauszustellen, suchen sie das vorgefertigte draußen-erlebnis: ein bisschen draußen, ein bisschen inoffiziell aber vor allem laut und gut – und dank app leicht zu finden.
wenn draußenparties ein massenphänomen werden, werden ganz automatisch viele akteursgruppen – veranstalter, ordnungsmacht, gäste und später auch die musiker – auf eine institutionalisierung und verrechtlichung hinarbeiten. versicherung, beleuchtung, eintritt, vergütung dritter (gema, steuer, etc.) werden eine rolle spielen und damit das – was viele aus unserem milieu (affirmativ-verträumte pop-hippies) jetzt unter draußenparties verstehen – in etwas anderes überführen. aber keine sorge: das ist normal. frag mal techno, hip hop und punk rock. gibt’s jetzt alles fertig und abgepackt, ist aber handgemacht immer noch am besten. und – das darf man nicht vergessen – das hat auch vorteile für nicht-massenmarkt-akteure, denn wenn dauerhaft große teile des livemarkts an den bestehenden strukturen vorbei wirtschaften, gibt es im winter keine klubs mehr und deutlich weniger crews & djs in leipzig, die diese bespielen.
fazit 3: jeder kriegt die party, die er will. am ehesten übrigens noch, indem er sie selbst macht. wenn jemand etwas schnell und oberflächlich konsumieren will, wird er das tun. es gibt auch keine richtigen und falschen parties (aber auch keine richtige party auf der falschen). es gibt allerdings entwicklungen und konsequenzen. und die der draußenparty-macher und -gäste leipziger geschmacksrichtung werden hoffentlich sein, neue wege und orte zu finden an denen sich zugänglichkeit und popularität die wage halten. wir verraten nix, versprochen.