vergangenen donnerstag war CASPER zu gast im leipziger conne island. ich kannte ihn und seine musik vorher gar nicht und kam über bekannte von freunden. . . jedenfalls war das ein interessanter abend, der einen überraschenden konflikt offenbarte:
„puuuuuuh“ denke ich gleich zu beginn des konzerts, „hier ist eine menge subkultureller codes zu entschlüsseln!“ tatsächlich fühle ich mich ein bisschen wie ein ethnologe, denn einen act wie CASPER habe ich noch nie gesehen.
nach dem gut gelaunten support „Kraftklub“, die das publikum mit fröhlichem atzen-indie-hardcore samt proletarischer pose („SCHEISSINDIEDISKO“) und underdog-image („Äääääääch, gomm aus Garl-Morx-Stad“) in laune gebracht haben, startet CASPERs band völlig unerwartet in prog-rock-manier: abgedimmtes grünes licht von hinten und eine portion nebel lassen nur die umrisse der musiker erahnen, die einer nach dem anderen ihr instrument in die hand nehmen und über etwa 2 minuten ein anschwellendes intro geben, dass sich auch in einer shoegaze-nummer ergießen könnte.
die atzen und hip hop-headz vor der bühne nehmen’s gelassen und skandieren schon mal den namen des rappers, der dann schwungvoll von links die bühne stürmt, sich ins mikro krallt und rockstar-posen übt. ein typ mit halblangen braunen haaren, enger grauer jeans modell prenzelberg und flanellhemd.
meine kurze youtube-recherche hatte mich auf jemanden vorbereitet, der mit kollegah und favorite rappt! aber so einfach ist das bei CASPER nicht, der 28-jährige hat auch früher schon in hardcore-projekten gesungen und hat offenbar keine ängste, die – liebe hip-hop-fans entschuldigung – doch ziemlich orthodoxe rap-szene manchmal vor den kopf zu stoßen.
der straighte rock mit sattem bass nimmt mich gut mit und ich lasse mich, wie schon bei „Kraftklub“, von der positiven energie der mucke mitreißen. nach dem dritten stück mit demselben rhythmusschema beginne ich allerdings wieder nachzudenken und frage mich, wo das eigentlich hip hop ist. offenbar stehe ich mit der frage nicht allein da: einige rapper der (eher kleinen) leipziger szene stehen relativ weit hinten und schütteln die köpfe.
httpv://www.youtube.com/watch?v=UaEW8PHOTH4
der exponierte bass mag die gitarren einhegen und das schlagzeug spielt ’ne fluffige partie, aber da ist im grunde kein funk dabei. in sehr guten momenten klingt das ganze wie die etwas wütendere weiße version von „cypress hill“. in schlechten momenten klingt das dann eher wie ne hardcorecore-version der toten-hosen – was auch an den texten liegt: CASPER hat flow und seine von den chronischen luftproblemen im conne island strapazierte stimme erinnert an dendemann oder das reimemonster. er weiß auch kluge dinge zu rappen aber manche textstellen sind zu platt und bedienen auch silbermond-ähnliche emotionale affekte. beispiel?
„Schatz frag nicht, lass einfach weiterfahren
und so tun als gäb es kein Ende der Welt
Doch weiß ein Kodakmoment wie dein Herz zerspringt
Ich daneben verschwommen, gucke genervt nach links
Genau, Mister Superstar, ich verfluch das Jahr“ – CASPER, Kontrolle/Schlaf
offenbar ist die schwierigkeit dieses spagats auch CASPER bewusst, der nach der ankündigung zweier songs vom kommenden album sarkastisch hinterher schiebt: „das spielen wir dann nächstes jahr vor halb leeren jugendzentren.“ vermutlich eher nicht, hat er doch erst im oktober bekannt geben, dass sein deal mit dem düsseldorfer label selfmade records (u.a. kollegah) aufgelöst wird und die neue scheibe 2011 bei four music erscheint. das label wird sich schon darum kümmern, dass die release-tour in vollen sälen gespielt wird.
jener übergangsphase wurde sich auch das publikum schnell bewusst: hip hop-fans und etwas rohere partypeople teilten sich das island mit groß bebrillten studenten: CASPER reagiert und ruft abwechselnd dazu auf, sich zum „ball der liebe“ vor der bühne oder einen circle pit zu formen. moshende teenager beim einen song, stadion-rockkonzert-feeling beim nächsten. diese unterschiedlichen erwartungshaltungen am deutlichsten gespürt haben dürften die zwei hardcore-jungs, die wie bereits andere zuvor stage diven wollten und offenbar an einem fleck landeten, wo dieser prozedur unkundiges publikum stand.
dem sympathischen rapper, der auf der bühne alles gibt und einen guten draht zum publikum hat, ist zu wünschen, dass er den mut hat, weiter seiner musikalischen vision zu folgen. es gehört zu den härtesten erfahrungen als künstler zwischen weiterentwicklung/veränderung und erwartungshaltung vermitteln zu müssen.