geoff berner // ALMOST KILLED BY CANADA TWICE


GEOFF BERNER ist ein begnadeter songschreiber aus vancouver/kanada. anfang der 90er jahre war er in der dortigen punk und hardcore-szene umtriebig, beor er ende der 90er jahre den klezmer für sich entdeckte. genauer gesagt: die schmutzige seite des klezmer. für GEOFF BERNER ist klezmer keine hochgeschlossene hochkultur-musik, sondern ein amalgam an lebensweisheiten, blues, kneipenmusik und jeder menge rauem leben – er ist auch unter dem spitznamen „whiskey rabbi“ bekannt.

wir haben ihn kennen gelernt, als er zu unserer konzertreihe LIKE WATER in leipzig spielte. damals trug ich mich in seinen newsletter ein, was mir bislang schon einige schöne stunden beschert hat. denn GEOFF BERNER schreibt nicht nur grandiose songs, sondern auch grandiose newsletter:

„Ich weiß, dass ich vermutlich über die gigantische Show im Stadion und meine grandiose Band und generell den Hurrikan an verrücktem und beglückendem Chaos der letzten sechs Wochen Tour schreiben sollte.
Allerdings hinke ich etwas hinterher, da ich euch doch noch erzählen muss, wie mich Kanada im Februar beinahe zweimal umgebracht hat. Das erste Mal, wurde ich beinahe von Kanada getötet, und das zweite Mal brachte mich ein Übermaß an „Kanadischkeit“ fast um.

Die Kanadier behandeln die Natur manchmal wie eine große Amüsiermeile. Aber die Natur ist nicht zu unserer Unterhaltung da, und sie interessiert sich vermutlich nicht einmal, ob wir leben oder sterben, wie unvorsichtige Touristen gelegentlich erfahren müssen. Ich wäre fast einer von ihnen geworden.

Dawson City ist wunderschön. Es ist keine richtige Großstadt, vielmehr ein schönes altes hölzernes Goldrausch-Städtchen. Ihr solltet wirklich mal hinfahren.
Das Zentrum des Yukon-Territoriums ist allerdings Whitehorse. Whitehorse ist nett, aber es wird in letzter Zeit so dermaßen verbaut, dass die ansässige Musikerin Kim Barlow vorgeschlagen hat, das Motto der Stadt zu ändern: „Whitehorse: Von unseren Dächern aus kann man sogar den Yukon sehen!“ (Der Fluss ist tatsächlich hunderte Kilometer entfernt).
Sie haben dort jetzt zum Beispiel einen Wal-Mart. Der wurde über Nacht gebaut, als niemand hingeschaut hat. Und als die Einwohner am nächsten Morgen bemerkt haben, was da für ein Gebäude entstanden ist, da war es schon zu spät. Jedenfalls, Dawson City ist wirklich niedlich und Whitehorse nicht, auch wenn ich Whitehorse für seine wild-verrückten Einwohner mag, die allein mehrere ihnen gewidmete Bücher verdient hätten.

Um die schönste Aussicht von Dawson zu genießen, muss man ganz hoch, die ganze Mountain Road, zum „Dom“. Sie nennen den Gipfel „Dom“, weil die Aussicht Dir das Gefühl gibt, Du stündest auf der Spitze der Welt und so weit oben, dass der Himmel eine riesige Kuppel sei.
Wenn ich in Dawson bin, gehe ich immer auf den Dom. Mein Gastgeber Tim Jones war ohnehin mit Kunst-Verwaltungs-Kram beschäftigt, so dass er mir freiwillig seinen Minivan anbot, nachdem ich ihn mehrfach danach gefragt hatte. Offenbar haben wir uns da allerdings missverstanden…

Er warf mir die Schlüssel ‚rüber und sagte, „Ich weiß nicht, wie oft sie die Straße im Winter räumen, also pass ein bisschen auf.“ Ich dachte er meint damit: „Sei vorsichtig wenn Du hoch fährst, besonders falls die Straße nicht geräumt ist.“ Was er aber eigentlich meinte war: „Nur ein selbstmörderischer Idiot würde diese Straße auf einer geschlossenen Schneedecke hochfahren.“

Daran kann man erkennen, dass Missverständnisse häufig aus dem Trugschluss entstehen, man würde dasselbe meinen – Wie zum Beispiel jemand aus Dawson City mit „ungeräumter Straße“ etwas anderes meint, als ein ahnungsloser Musiker aus einem Teil von Kanada, in dem es weniger häufig Schnee gibt.
Vielleicht könnt ihr euch denken, dass das zu Problemen führen würde. Wenn ihr euch das Denken könnt, dann seid ihr schlauer, als ich es war.

Am Ende war sogar Tim ziemlich überrascht und auch ein bisschen beeindruckt, wie weit ich die steile, verschneite Straße in seinem gebrauchten Minivan gekommen war, bevor ich mich unwiderruflich festgefahren hatte und damit auf einer unpassierbaren, schmalen Passstraße gestrandet war. 40 Kilometer von der Stadt entfernt, mit Krähen über meinem Kopf, die nur darauf warteten, mir das weiße aus den Augen zu hacken und dazu zahlreiche Grizzlybären, die nach dem Winterschlaf ihre mächtigen und hungrigen Kiefer dehnten und sich am pikanten Geruch von Akkordeonspieler-Angstschweiß erfreuten.

Ich schaffte es, den Minivan freizuschaufeln und ganze zehn Meter weiter zu fahren, bevor ich wieder feststeckte. Ich dachte darüber danach, dass ich es so nach Hause schaffen könnte, indem ich den Wagen in Abständen von zehn Metern immer und immer wieder freischaufelte. Ich glaube, ich hätte das sogar schaffen können, wenn Tims Minivan nicht versucht hätte, mich umzubringen.

Ich weiß, dass das ziemlich übertrieben klingt, aber die Beweislage stützt meine Sicht der Dinge. Wie sonst würde man es bezeichnen, wenn ein Minivan sich wie folgt verhält?
Der arme Vancouverrite ist clever genug, den Motor bei minus 40 Grad nicht abzuschalten, weil er weiß, dass Motoren bei diesen Temperaturen nicht immer problemlos wieder angehen. Der arme Vancouverrite schaufelt wie ein Irrer den Schnee aus den Riefen, die die Vorderräder gegraben haben. Um besser schaufeln zu können, schließt der arme Vancouverrite die Beifahrertür. DER MINIVAN VERRIEGELT AUTOMATISCH ALLE TÜREN, WÄHREND DER SCHLÜSSEL IN DER ZÜNDUNG STECKT UND DER MOTOR WEITER LÄUFT.

Dieser Minivan versucht mich umzubringen! Es ist ein Ford. Wir alle wissen, wie Henry Ford über Juden und Linke gedacht hat und dieser Van ist ein weiteres Beispiel seiner Böswilligkeit! Gottverdammt seist Du, Henry Ford!

Nach dem ich eine Weile auf das Auto eingeschlagen, geschrien, geweint und Gott um eine Erklärung gebeten hatte, saß ich still im Schnee und hörte dem Detroiter Stahl zu, wie er sein Benzin vertuckerte. Ich beobachtete die Krähen, wie sie mich heißhungrig beobachteten. Der Schweiß vom ganzen Schaufeln gerann auf meiner Haut und begann dort zu frieren. Ich erinnerte mich, dass ich nur Stunden zuvor Kaffee trinkend in einem warmen Zimmer saß und darüber plauderte wie erfrischend es für die Seele sei, sich in einer Gegend aufzuhalten in der es KEINEN HANDYEMPFANG GAB.

Ich wusste, dass ich verloren war. Und ich wusste, dass man, wenn man in kanadischen Wäldern verloren geht, nur verharren und auf Hilfe warten kann. Also wartete ich.

Nach fünf Minuten Warten war mir ziemlich kalt und ich konnte die Anwesenheit dieses höllischen Minivans keine Sekunde länger aushalten. Also verließ ich die verschneite Straße, den Wagen mit den verschlossen Türen und dem laufenden Motor, ganz so, als wäre es eine hinkende Metapher für den Zustand unserer Zivilisation. Ich begann meinen langen Weg zurück in die Stadt im dämmrigen Nachmittagslicht von vier Uhr. Ich war unangemessen angezogen, hatte weder Nahrung, Wasser noch eine Schusswaffe bei mir. Ich trug schwarze Lederschuhe.

Glücklicherweise beschlich Tim das Gefühl, dass ich nun schon zu lange auf dem Weg zum „Dom“ sei und er hatte ein Auto gemietet, um nach mir zu suchen. Wir trafen uns genau an der Stelle, wo man aufgehört hatte, die Straße zu räumen. Er hat mein Leben gerettet. Er ist ein guter Kerl. Er konnte nicht wissen, dass sein Minivan böse war. Ich bin sicher, dass er ihn im Frühjahr zum Schutz der Gemeinde zerstören wird.

Der Auftritt an jenem Abend war ergreifend, das kann ich euch sagen.

Das war an einem Dienstag. Am Samstag derselben Woche hatte ich meine zweite Begegnung mit dem Tod. Dieses Mal war es eine Überdosis „Kanadischkeit“. Es war der kanadischste Tag meines Lebens. Ich stand sogar kurz davor eine Kanadianeurisma zu erleiden. Lasst mich euch diese Kanadischkeit zusammen tragen:

Ich wachte durch das Klingeln des Telefons auf. In Whitehorse/Yukon, dem wahren Norden, stark und frei.

Dave Bidini, kanadischer Autor und Kopf der Bidiniband, weiland der Band „Rheostatics“ war am Apparat. „Die Widerstandsregler“ sind die großartigste kanadische Indie-Band, die in jeden Song den sie jemals geschrieben haben, die Namen von kanadischen Orten einbauen und sogar über die „Gruppe der Sieben“, eine kanadische Künstlerbewegung sangen, um Himmels willen! Dave war derjenige, der mich in den Yukon eingeladen hatte, um für die Fernseh-Liveübertragung zum inoffiziellen Nationalfeiertag „Hockey Day in Canada“ einen Song über einen Eishockey-Spieler zu singen. Das Konzert war in Whitehorse und mein Song ist Gino Odjick gewidmet.

Dave lud mich am Telefon ein, eine Runde „shinny“ zu spielen, was auf Kanadisch heißt, sich zum freundschaftlichen Eishockey-Spielen auf einem zugefrorenen See in der Nachbarschaft zu treffen.

Ich frühstückte kanadischem Hinterschinken.

Ich hatte früher schon einmal unter freiem Himmel, auf einer öffentlichen Eisbahn gespielt. Ich trug eine Winter-Mütze. Neben vielen anderen interessanten Leuten spielte ich gegen Bidini und John K. Samson von den „Weakerthans“, die in jedem ihrer großartigen Songs über die Stadt Winnipeg singen – oder ein Lungensanatorium in der Nähe dort.
Wir tranken „Yukon Gold Beer“. Die extrem gute kanadische Singer/Songwriterin Sarah Harmer war auch da. Sie schreibt Songs, die wie Kurzgeschichten von Alice Munro sind. Ihr Nachname, wäre ein grandioser Spitzname für ein Hockey-Rauhbein: „The Harmer“, der Verletzer. Und sie war die einzige, die einen Helm mitbrachte, was einschüchternd war. „Die Verletzerin“ brachte mich tatsächlich ein paar Mal zu Fall, aber ich glaube nicht mit Absicht. Oder doch? Achtet auf sie, sie ist gewieft!

Danach gingen wir zum offiziellen Yukon “Hockey Day in Canada”-Spiel.

Da wir Teil des Programms waren, mussten wir im Stadion in die VIP Loge.

Dort war es, als mich der vierfache kanadische Blitz traf. Ich trank ein eiskaltes „Molson Canadian“-Bier, während ich mit dem (bald ehemaligen) liberalen Abgeordneten und legendärem Torhüter der Montreal Canadiens, Ken Dryden, über die wundervolle Zukunft von Kanadas Einwanderungspolitik unterhielt. Als dann auch noch „Rush“ aus der Stadionanlage tönte, fühlte ich, wie ein Schlaganfall in meinen Kopf kroch.

Ich musste sofort ins Bad, atmete tief ein, und hielt meinen Kopf für eine halbe Stunde zwischen meinen Knien. Glücklicherweise erholte ich mich. Knappe Sache.

Wenn ihr mich irgendwo trefft: Ich feiere immer noch mein Überleben.“




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