unterwegs // HART AM WIND SEGELN


Kollege Schnürschuh ist gerade in paar Wochen in Amerika und schickt immer mal fotografische Updates von da. Außerdem geht er dort neben seiner Arbeit auch der Freizeit nach, die ihn hin und wieder auch in musikalische Gefilde bringt. In den kommenden zwei Wochen wird hier immer mal davon zu lesen sein.

New Haven ist für amerikanische Verhältnisse etwas untypisch. Wie überall existieren starke „soziale“ Ungleichheiten, womit meist unterschiedlich hohe Einkommen und damit einhergehende Effekte auf Bildung und damit wiederum Chancen auf Einkommen gemeint sind. Während diese Trennung sonst auch in der Stadtgeographie sichtbar wird, hat New Haven kein „Ghetto“. Du läufst eine Straße lang, biegst ab und stehst auf einmal in einer Nebenstraße, die – zumindest nach Einbruch der Dunkelheit – als unsicher gilt. Der Kontrast verschärft sich zusätzlich dadurch, dass die 130.000 Einwohnerstadt die reiche Yale University mit ihren 11.000 zumeist priviligierten Studenten beherbergt.

Eine Institution, die es vermag asiatische und europäische Studenten, einheimische working class, Schwarze, Weiße, Asiaten, Männer und Frauen unter einem Dach zusammenbringen, ist die Nachbarschaftskneipe. Das „Three Sheets“ ist so eine Nachbarschaftskneipe. Du kommst rein und wirst erstmal von einem aufgerissenen E-Gitarren-Verstärker an die Wand gedrückt. Die drei Ü-50-Besucher am Ecktisch stört das nicht, sie haben sich an der Bar orange Ohrstöpsel geben lassen. Wie sie sich dennoch unterhalten können ist mir schleierhaft. Ein anderes Verständnisproblem haben die beiden pakistanischen Studenten mit dem Türsteher: Für die letzte Zigarette durften sie ihr Bier noch mit raus nehmen, nach 11 Uhr ist das allerdings verboten: „It’s the law.“ Der Ton-Mann trägt Hemd und Fliege und einen grandiosen Afro, der Questlove Jenkins Konkurrenz macht.

Die Zwei-Mann-Vorband (Schlagzeug & Gitarre) ist mittlerweile vom Hauptact abgelöst worden, „Jake Star and the Delicious Fullnes“. Jake ist eigentlich IT-Fachmann an einer Bibliothek in „D.C.“ – Zum Glück für seine Kollegen hat er eine Band, denn der Mann ist ein Energiebündel, dass nach der Bühne schreit. In knallengen Hosen singt und tanzt sich der 1,90 m große Glatzkopf durch die gesamte Bar. So kriegt auch der freundliche Italiener an der Theke etwas vom Auftritt mit. Den zwei Mädels um die 25, die zur ersten von sieben Zugaben reinkommen, gefällt es so gut, dass sie das Bestellen erst einmal auf nach dem Konzert verschieben.

Ich frage den Barkeeper, wer für’s Booking zuständig ist, weil mich interessiert, wer so einen Laden aufzieht – und ob es eine Utopie oder ein Geschäft ist. Er verweist mich an Rick. Ich krame mein Telefon raus und frage, ob ich ihn interviewen darf. Er ist überrascht, nimmt sich aber die Zeit:

Kannst Du mir ein paar Basics zum Laden geben?

Das „three sheets“ ist etwa 250 Quadratmeter groß und auf Livemusik eingestellt. Wir haben eine kleine Bühne und insgesamt passen 150 Leute rein. Wir haben ne anständige PA mit 8-Kanal-Mixer, Lautsprechern, zwei Monitoren und Mics. Außerdem haben wir einen eigenen Mischer, der alle Konzerte betreut. Er kennt das System und weiß wie der Raum klingt. Mit diesen Bedingungen füllen wir die Lücke zwischen den großen Venues und den kleineren Orten wie Cafes.

Wie wird man denn Besitzer einer Nachbarschaftskneipe?

Ich bin eigentlich Berufsfischer. Ich komme als Gast hier her, seitdem ich in Bars gehen darf. Als ich gesehen habe, dass der Laden zum Verkauf steht, habe ich ihn mit einem Partner gekauft.

Wann war das?

Gerade erst im Dezember.

Wow! Aber das Publikum scheint ihr übernommen zu haben.

Wir haben den Musikbereich etwas ausgebaut, aber die Bar war ganz gut etabliert.

Was heißt „three sheets“ eigentlich?

Das ist ein Wortspiel. Ursprünglich kommt es aus der Seefahrersprache, „drei Segel im Wind haben“ bedeutet hart am Wind segeln. So hart, dass das Schiff fast bricht. Im übertragenen Sinne heißt „three sheets in the wind“ aber auch ordentlich einen in der Krone zu haben.

Ist das Booking von heute Abend repräsentativ für deinen Laden?

Ja, wir versuchen möglichst viel Livemusik zu spielen. Meist Gitarrenmusik, aber das ist nicht das Hauptkriterium. Entscheidend ist, dass es sich um Livebands mit eigenen Songs handelt. Im Moment schaffen wir das an mindestens drei Abenden in der Woche.

Wie findet ihr die Bands?

Manchmal finden die Bands uns, manchmal finden wir sie. „Jake Star and the Delicious Fulness“ zum Beispiel waren hier gerade auf Tour und hatten einen freien Abend, den sie füllen wollten. In dem Fall lief das über deren Promoter.

Vielleicht ne blöde Frage, aber: Rechnet sich das?

Ich mache das wegen der Musik. Wenn ich es wegen des Geldes machen würde, würde ich es vermutlich nicht machen. (lacht)

 

Links:
„Three Sheets“ New Haven bei Facebook
„Three Sheets“ bei GoogleMaps
Die „Yale Daily News“ über die Bar
„Robins List“ über die Bar

 



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