wort // Techno-Kapitalismus


Bild: Mit freundlicher Genehmigung von Fee Kürten

 
Einer der Gründe warum wir nicht reich sind, besteht vermutlich darin, dass wir uns diesem DIY-Gedanken ja doch ziemlich tiefgreifend verschrieben haben. Sollten wir überraschend reich werden, nehmen wir das gern an und löschen all diese Zeilen. Beziehungsweise werden wir jemanden bezahlen, es zu tun. Schlecht bezahlen.

Überhaupt nicht schlecht bezahlt [Sie befinden sich in einer Überleitung] ist die Elite des Techno-Kapitalismus. Techno-Kapitalismus? Klingt ziemlich 90er das Wort? Und auch so ein bisschen düster? Ja, das soll es auch. Unter dieser Überschrift hat Alexis Waltz für die Groove ein Essay geschrieben, das ziemlich breitbeinig daher kommt: Der Bookingmarkt im House- und Techno-Bereich hat sich binnen nicht einmal zwei Jahrzehnten von einer Off-Szene zu einem weltumspannenden, lächerlich hochpreisigen Rummel um den größten Namen entwickelt.

Eine These, die jetzt erst einmal nicht so überraschend daher kommt, wenn man sich Leute wie Richie Hawtin anschaut. Oder eben wie clevere App-Macher versuchen, aus einer Tanzkultur in halblegalen Räumen ganz legalen Gewinn zu machen. Oder wenn man schaut, wie intensiv bei lokalen Initiativen Sell-Out- und Hipstervorwürfe laut werden, wie bei der lokale Ironie-Kopie des Boiler Rooms (Comments!). Da besteht schon lange eine Spannung zwischen Konsum- und Off-Kultur und nicht erst seit David Guetta ist Musik aus dem Club ein weltweit verkaufbares Produkt.

Was dem Essay aber sehr gut gelingt ist, die kleinen und großen Verflechtungen des DJ-Bookings mit dem Rest der Welt und den auch den Szenen zu zeigen. Man erfährt welche Rolle Indien und China schon, aber auch noch nicht spielen (teure Parties aber keine Kultur des Tanzens), dass vermutlich die Mafia 100.000 Euro Gage für Richie Hawtin in Bella Italia hingelegt hat und dass das alles natürlich auch damit zusammenhängt, dass DJs sich auf Facebook und Co auch als visuelle Marken etablieren.

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Illustration: Sucuk und Bratwurst erstmals erschienen in Groove 149 (Juli/August 2014) hier mit freundlicher Genehmigung der Künstler

 
Ergänzt wird dieser Parforce-Ritt durch drei sehr gute Interviews mit Bookern und Veranstaltern. Steve Hogan von William Morris gibt Einblicke in das A&R- und Bookingbusiness auf internationaler Ebene – Wo eine Distanz von unter 2,5 Flugstunden zwischen den Gigs schon als ressourcenschonendes Alleinstellungsmerkmal angesehen wird. Katrin Schlotfeld erklärt unter anderem, wie Agenturen Newcomer schnell auf ein bestimmtes Gagenniveau pushen und dann nur noch auf Festivals platzieren, weil Clubs sie schlicht nicht mehr buchen können – Und dass die Größe der Namen auf Festivalflyern mittlerweile Metallica vs Guns’n’Roses-mäßige Züge annimmt.

Mit Steffen Charles, Gründer vom Time Warp, geht der Blick dann noch einmal auf globale Trends, wie die Agentur SFX, die derzeit alles aufkauft, was sich an Festivals und Agenturen bewegt. Im internationalen Vergleich sieht er die deutschsprachigen Acts übrigens „näher an der Szene“ – Will sagen, in Südkorea kennen die wenige.

Wunderbar streiten kann man sich ja nun über die Implikationen und Konsequenzen dieser Entwicklung. Waltz sieht darin insofern eine Misère, als dass lokale Szenen eher abgehängt werden, weil das Geld nach oben zirkuliert und „unten“ dann statt dem etablierten Act eben der (auch schon teure) Newcomer spielt: „Entweder du gehörst zur zahlungskräftigen, aufstrebenden Mittelschicht eines Zweite-Welt-Landes, die sich die hohen Eintritte leisten kann. Oder du hast das Glück Teil der Crowd eines Aushängeschilds wie dem Robert Johnson oder dem Output zu sein. Sonst bleibt allein die Möglichkeit, sich ins Festival-Proletariat einzuordnen. Verübeln kann man das seinem Headliner-Lieblings-DJ kaum: Alle, DJs wie Fans, sind heute mehr oder weniger Touristen.“

Dieser pessimistische Ausblick für die „kleineren“ Szenen provoziert natürlich Widerspruch von den Einwohnern, Gestaltern, Verteidigern und Analysten dieser. Einer davon ist der DJ und Soziologe Fresh Meat, der das Blog Berlin Mitte Institut betreibt. Er hat 2011 schon einmal erklärt, was Szenewirtschaft(en) von abstrakten Begriffen wie „Musikindustrie“ unterscheidet und welche Rolle persönliche Netzwerke dabei spielen. Auch wenn sein aktueller Widerspruch gegen das Essay stellenweise überspitzt ist (BILD-Manier?), ist sein Punkt natürlich nicht von der Hand zu weisen: Die im Text beschriebene Spitze der internationalen House- und Techno-DJ-Szene ist nicht dasselbe wie die eigentlichen Szenen vor Ort.

Nichtsdestotrotz ist in unserer Welt natürlich alles verbunden. Wenn sich die Bookings auch im Segment „Festival Act auf Stage 3 bis 5“ verschieben, hat das Auswirkungen auf lokale Clubs. Und auch das Selbst- und Fremdbild von alternativen Veranstaltungen, wie Open Airs oder Hinterhofpartyreihen ist nicht losgelöst von den Szenecodes der Etablierten. Aber vielleicht hat sich das ohnehin bald gelöst, wie Talida Wegener in einem weiteren, sehr guten Feature zum Thema DJ-Bookings andeutet (hat tip Fresh Meat): “I think we’re at the peak time now and you know how peak times always end. (…) But if you’re professional and know what you’re doing then you will survive.”

Dann schauen und hoffen wir mal, das der dezent hyperventilierende Bookingmarkt tatsächlich keinen zerstörerischen Einfluss auf die lokalen Szenen hat. Das Essay von Alexis Waltz und Fresh Meats Antwort darauf zeigen, dass da durchaus berechtigte Sorge besteht. Denn das ist das wiederkehrende Motiv in allen verlinkten Texten und Stoßrichtungen der zitierten Protagonisten: House und Techno sind von unten gewachsen und das sollte besser auch so bleiben.



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