wort // HYPEZIG


Bild: „Sucks don’t go here“ // Dr. Seltsam-Facebook Seite // Copyright

 
Fast hatten wir uns ein bisschen damit abgefunden, dass alle Welt der Meinung ist „Leipzig kommt“, „Leipzig ist hip“ und es sei „das neue Berlin“. Man weiß, dass es nicht ganz passt, aber als Fremdbild doch noch ganz okay, oder?

Ja und Nein. Man kann sich natürlich beruhigen, dass ein Klischee auch nicht mehr als das sein muss: Das hippe Leipzig als Laune des Reisejournalismus. Gleichzeitig steht das, was unter #Hypezig so behauptet wird schon für ein ganz bestimmtes Verständnis von der Stadt, ihren Bewohner_innen und gutem Leben. Und dabei bedient sich der Hype einseitig bei Menschen und Lebensentwürfen, die von der behaupteten Aufwertung selbst nicht profitieren, sondern eher Nachteile haben.
 

#Hypezig – Von der Subkultur ins Stadtmarketing

Andi hat dazu in einem längeren Essay für ein sehr empfehlenswertes Leipzigbuch vergangenes Jahr die Karriere des Medienhypes um Leipzig nachgezeichnet (komplett hier als HTML, oder PDF). Und der Ursprung des Phänomens erzählt schon ziemlich viel über dessen Charakter: Die New York Times-Autorin – die den Artikel schreiben sollte, auf den sich die meisten anderen Hypezig-Artikel beziehen – kam nämlich über die unabhängige Musikkultur in die Stadt. Zur Recherche schrieb Gisela Williams den (Pop Up-Menschen eine Mail, die riefen zurück, luden sie ein, schickten sie zu Konzerten ins UT und ins Conne Island. Williams war begeistert und machte die unabhängige Musikszene zum Aufhänger ihres Artikels. Dass das Stadtmarketing den New York Times-Artikel später als Erfolg des eigenen Bemühens um amerikanische Reisejournalisten ausgab, war also knapp an der Wahrheit vorbei.

Der ehemalige KREUZER-Chefredakteur Robert Schimke nahm solche und ähnliche Bestrebungen dann 2012 in einem Leserbrief in der ZEIT ins Visier: Was ist noch Stadtentwicklung und was schon Ausverkauf des Charmes? An Leipzig gerichtet schrieb er über die Stadtverantwortlichen: »Sie degradieren die Menschen, die von deinem Vermögen zu träumen angezogen wurden, zu einem Gag des Stadtmarketings, machen sie zu Ingredenzien in einem Angebotsmix, zu einem Standortvorteil.« OBM Burkhard Jung, der sich angesprochen fühlen sollte, antwortete zwei Wochen später als lyrisches Ich der Stadt und beschwor dabei in paternalisierendem Ton die Notwendigkeit von Wachstum. Mit der dreifach gekoppelten Wortschöpfung »Anton-Bruckner-Allee-Brücke« (!) statt Sachsenbrücke zeigte er aber auch, dass da eben doch eine Verwaltung antwortete anstatt einer lebendigen Stadt.

Seitdem jedenfalls brummt die Presseabteilung des Leipziger Stadtmarketings. Hunderte von Pressetexten sind seit 2012 erschienen, die Leipzig als hippe Metropole beschreiben, als „Hipsterhochburg“, und sehr oft als „das neue Berlin“. Das befeuerte natürlich das sächsische Galliersyndrom und die lokale Ausgabe einer Boulevardzeitung titelte: »Das Ausland sagt es und wir wissen es: ›Leipzig ist das bessere Berlin.‹«. In der Folge wurde »Leipzig, the better Berlin« als Werbespruch geschützt, für Immobilienbroschüren verwendet und sogar die Stadt warb mit dem Berlin-Vergleich an Flughäfen. Mittlerweile griff man von offizieller Seite auch Hypezig auf und machte „Likezig“ daraus. Was als Kontakt einer Journalistin mit der freien Szene begann, steigerte sich zu einer Flut voneinander Themen abschreibender Journalist_innen, erschuf ein Zerrbild der Stadt, und wurde schließlich ein offizielles Marketingargument.
 

Was wird hier eigentlich gehypt?

Das Grundargument des Hypes in den meisten Veröffentlichungen lautet, dass Leipzig Kreative anziehe, weil hier (noch) vieles möglich sei. Die dabei aufgegriffenen Beispiele (es sind immer dieselben) zeigen den Nährboden für die Leipzigeuphorie dann doch ziemlich schonungslos: Kleinkariertheit. Es bedarf immer der irgendwie Anderen, um die Freiheit und Einzigartigkeit der Stadt zu belegen – und damit für einen Stadturlaub zu empfehlen.

Eine Autorin der F.A.Z. stellte zum Beispiel schockiert fest: »Es gibt besetzte Häuser und grünhaarige Punks, die mit ihren Hunden herumsitzen, ohne dass es irgendjemandem auffiele.« Das Entlarvende an diesem Satz ist, dass er so konstruiert wurde, dass die einzig Überraschte (die Autorin) die Nicht-Überraschten (die Menschen hier) entnormalisiert: »Ohne, dass es irgendjemandem auffiele«.

Beliebte Szenerien der Hypezig-Artikel, wie Open Airs im Grünen und das »Dr. Seltsam«, dienen als Kulissen für eine sehr bürgerliche Form der Exotisierung von Lebensentwürfen. Wenn aus dem Architekten von oben, der unverheiratet lebt und nicht mehr als 30 Stunden pro Woche arbeiten will, ein Lebenskünstler wird, und ein Laden, der tagsüber Fahrräder zusammenbaut und abends Schnaps ausschenkt, als verrückt gilt, dann bringt das doch gut auf den Punkt, wofür Hypezig steht: Freiheit, Genuss, Selbstverwirklichung, Weltverbesserung oder Ästhetik werden als bunte Insel, als eventförmig konsumierbares Wochenenderlebnis präsentiert. Frei von Fragen wie der Realisierbarkeit von Lebenskonzepten oder der Selbstverständlichkeit bewusst für oder gegen etwas zu leben. Und erst diese Distanzierung, das Wegverpacken des Alternativen, erzeugt im Bildungsbürger das wohlige Frösteln beim Lesen. Hypezig-Artikel stillen die Sehnsucht nach einem anderen Leben, ohne es an sich selbst ausprobieren zu müssen.
 

Frisst der Hype seine Kinder?

Hat man das im Hinterkopf, könnte man die Frage nach den Folgen des Hypes gut abbiegen: Wir reden von einem Zerrbild, wie soll das den Architekten und die Menschen im Seltsam schädigen? Nun, zunächst einmal geht es einer zunehmenden Zahl Leipziger_innen auf den Keks. André Herrmann, der das Wort Hypezig erfand, und den Medienhype in einem Blog so genau wie sonst niemand dokumentierte, ist mittlerweile aus Leipzig weggezogen. Seinen Abschied begründete er auch mit der Veränderung der Stadt, die jetzt lieber Cupcake-Läden statt „Abgerocktem“ honoriere.

Die ZEIT nahm das zum Anlass, das Ende des Hypes einzuläuten. Auch der KREUZER diesen Monat im Titel, ob der Hype nun seine Kinder fresse. Dabei wird vor allem das Phänomen temporärer Clubs besprochen, und die Autor_innen Juliane Streich und Josa Mania-Schlegel kritisiere eine »Spießigkeit« in der Szene, die »Coolness« über Exklusivität herstelle. [Dazu vielleicht später einmal mehr hier.]

Diese Stoßrichtung zeigt, dass viele Auseinandersetzungen rund um Hypezig in Leipzig eine Ebene tiefer stattfinden als die Diskussion einer strukturellen Gentrifizierung im Berliner Maßstab – Was fortlaufende Mieterhöhungen, die auch den Autoren betreffen, und das Zupflastern mit Eigentumslofts nicht schönreden soll. Was ich meine sind Geschichten, wie die, die der KREUZER-Chef Andreas Raabe im ZEIT-Artikel erzählt: Ihn stört am Hype persönlich, dass seine Lieblingseisdiele jetzt immer voll von Leuten „von sonst woher“ sei. Es geht also oft um Selbstverständnis und Identität und auch ein Stück weit um Abgrenzung von „richtigen“ und „falschen“ Gründen, einen Ort zu besuchen. Das alte Spiel mit der Authentizität und feinen Unterschieden.

Andererseits verweist der Hype neben der Mietpreisstruktur auf eine weitere sehr handfeste Dimension, die in der Diskussion häufig zu kurz kommt: Die Schere zwischen dem Bild der aufstrebenden, global attraktiven (Freizeit-) Metropole und den tatsächlichen Möglichkeiten der Bewohnerinnen und Bewohner, wie sie auch von Raabe erwähnt wird. Leipzig ist im bundesweiten Vergleich nach wie vor eine der Großstädte mit dem geringsten Durchschnittseinkommen und einem der höchsten Anteile von Menschen, die von „Grundsicherung“ leben. Und auch für den akademisierten Mittelstand wachsen die Bäume hier nicht in den Himmel: Fair bezahlte Stellen sind rar, nach dem Studium geht es für die meisten in Gegenden mit besserem Arbeitsmarkt.

Das hinterhältige an Hypezig ist also das Vermarkten eines konsumierbaren „Lebensstils“, der sich derer bedient, die nicht von ihm profitieren. Alternative Lebensentwürfe und Subkultur werden zu Werbebildern von Tourismus- und Immobilienwirtschaft. Ohne natürlich dass diese unfreiwilligen Darsteller mehr direkte oder indirekte Unterstützung zu erfahren als zuvor. Die einst prominent geforderten und im Stadtrat sogar beschlossenen 5 % des Kulturhaushalts für die freie Szene sind nicht in Sicht. Diese Schere zwischen den handfesten Grundlagen städtischen Lebens und Hypezig-Artikeln in Werbeblättchen ist sehr viel bedenklicher als Streitereien darum, bis wann ein neuer Club jetzt noch ok oder wann er schon affirmativ ist.



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