musik und dann? // JAZZDEBATTE


mic.bruns „Tenorsaxophon vor Coltrane- Bild III“ – under creative commons by

heute geht es nach krankheitsbedingter unterbrechung endlich weiter in unserer reihe „musik und dann?“. danke übrigens an die heldenstädter für die wohlwollende erwähnung! am montag haben wir das grundproblem mal aus indie-sicht entwickelt und bevor wir uns mit irgendwelchen plakativen vorschlägen aus dem fenster lehnen (flaschenpfand für schlagzeuger sammeln), wollen wir den blick nochmal schärfen. und zwar mit dem blick auf den jazz in deutschland.

jazz? e-musik? naja eigentlich a-musik, weil jazz eigentlich afro ist. und a-musik weil jazz immer wieder musikalischen außenseitern die möglichkeit gegeben hat, ihre ideen zu entwickeln. aber ja, in den augen vieler junger musiker gilt jazz nicht unbedingt mehr als fexible und lebendige szene. jazz ist seit mindestens 40 jahren in der deutschen kulturförderung angekommen und in vielerlei hinsicht gesellschaftlich institutionalisiert: musikhochschulen bieten studiengänge, kommunen finanzieren festivals, wettbewerbe für junge jazzer, alles mit staatlicher unterstützung, alles gut?

leider nein: zum einen gehen wie überall die förderungen zurück, zum anderen sind sie teilweise nicht mehr zeitgemäß und die jazzszene steht vor denselben problemen wie die indie-szene: mehr projekte buhlen um die gunst weniger zuhörer und die digitale revolution hat den zugang zu musik grundlegend verändert. wie gehen die jazzer damit um?

seit ende 2011 geht es in der szene (die wie die meisten szenen nicht „die szene“ ist, in der sich alle kennen, sondern die meiste zeit einfach nur ein unverbundener haufen mucker) rund. ein aufruf an die kulturpolitik wurde gestartet, der u.a. einen mindestlohn, alterssicherung und ein bessere kooperation von öffentlich gefördereten kultureinrichtungen fordert, um dem jazz spielstätten zu schaffen. was den punkt „export“ angeht ist man übrigens nah an der initiative musik, des fördergremiums der bundesregierung.

im anschluss daran haben sich auch einige feuilletonisten dem thema angenommen und nicht ganz zu unrecht den punkt thematisiert, dass jazz seit jahrzehnten von der kulturförderung profitiert wie keine andere musikart außer klassicher musik. unabhängig von den guten vorschlägen des jazzmusikeraufrufs entstand so eine debatte über den gesellschaftlichen wert von jazz (hier eine gute linksammlung), die am 21.01. durch einen artikel eines münchener jazzers in der süddeutschen auf die spitze getrieben wurde.

michael hornstein lehnte sich weit aus dem fenster und folgerte aus den problemen mit publikum und verkäufden, dass der jazz in deutschland seine gesellschaftliche relevanz verloren hat. dabei spricht er viel wahres, wenn er zum beispiel sagt, dass der hochschulbetrieb wenig mit dem livespiel-betrieb zu tun hat und deswegen viele musiker nach dem studium erstmal dumm dastehen. insgesamt schimmert durch den artikel viel verletzter stolz und dhornstein neigt dazu, eigene positionen auf das ganze spektrum an jazz-musikern in deutschland zu übertragen. aber das so viele seiner kollegen (meist negativ) auf den artikel angesprungen sind, zeigt, dass da etwas drinstecken muss.

noch so eine steile these von hornstein: „Gut leben können vom Jazz in Deutschland nur Redakteure, Journalisten und Veranstalter.“ dabei beklagt sich der saxophonist, dass gescheiterte musiker mit schlechtem geschmack nun redakteure sind und wiederrum schlechte musik promoten. mich interessiert dabei gar nicht das argument, sondern was alles mitschwingt: da gibt es also eine institutionalisierte öffentlichkeit (da würden sich andere szenen freuen), aber die tickt nicht so, wie die musiker wollen. die option, sich selbst öffentlichkeit zu schaffen wird gar nicht diskutiert. dabei ist es auch unter jungen jazzern alles andere als unüblich ein blog zu führen und selbst über die eigenen unternehmungen zu berichten.

kurzum: hornstein ist ein hervorragender saxophonist und beleidigter alter mann, der die strukturellen herausforderungen seiner branche spürt, aber lieber schuldige als lösungen sucht. wesentlich produktiver sind da die angesprochen aufruf-starter von der union deutscher jazzmusiker. sie haben mit ihrem engagement dafür gesorgt, dass es anfang märz eine bundestagsdebatte zur musikförderung in deutschland geben wird. der unterschied des jazz zum indie, schon seit jahrzehnten etablierter teil der staatlichen kulturförderung zu sein, wird hier offenbar zur stärke, da die stimme der musiker dann doch eher gehört wird, als in szenen, die keine schnittstellen zur öffentlichen hand haben.

wenn wir hier „indie“ schreiben meinen wir nicht „musik die wie diese tolle kandische band die nen grammy gewonnen hat klingt“ sondern musik mit einem anspruch an ausdruck, der sich nicht zuerst an den markt richtet und in ihren produktionsbedingungen unabhängig ist. wenn wir dieses kriterium – dass auf alle jazzmusiker die ich kenne zutrifft – anlegen, sehen wir, dass es da offenbar ein übergreifendes problem in deutschland gibt: gagen reichen gerade so zum leben, altersvorsorge ist so lange ein virtuelles thema bis man alt und krank ist und staatliche förderung geht an den realitäten vorbei.

wir sind gespannt, wie weit der plan, eine bundesweite musikervereinigung aufzubauen, gedeiht und wie berufspolitiker sich die lebensrealität von musikern so vorstellen! in der frage „welchen wert hat musik“ gehen wir morgen einen schritt weiter und schauen uns mit der GEMA eine ebenso gut gemeinte wie heiß umstrittene einrichtung zur taxierung eben jener frage an.



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